Recovery und Relapse – A

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Recovery und Relapse – A

Part A | Ein Artikel über die Kämpfe und Kriege, die eine Recovery so mit sich bringt. Wie sich der Kopf mit den Schlachten ändert. Und warum Rahmen und Routinen für mich lebenswichtig ist.


Gerade als dieser Artikel zu den Tücken der Recovery in meinem Kopf langsam Gestalt annimmt erreicht mich der neue Blogpost einer britischen Blogger-Kollegin, die ebenfalls über ihre Erfahrungen mit Borderline schreibt. Diesmal trägt ihr Text den Titel „The battle inside my head“. Als ich ihn gelesen hatte musste ich ihr sofort schreiben, wie sehr ich mich in ihren Worten wiedergefunden habe. Und weil ich gerne teile, lest ihr in diesem Post mehrere Zitate aus ihrem Artikel, über einen Besuch auf ihrer Seite freut sie sich aber bestimmt trotzdem.

One of the hardest parts of my recovery from BPD is enduring the battleground in my head. The constant, ceaseless, unremitting war of words, its assault deafening my thinking space, and its fallout poisoning the air around my heart. I suspect this is true of many with a mental health condition, irrespective of their diagnosis.

Life in a Bind

Ich bin in Recovery – klingt erstmal toll. Ist es aber nicht immer. Recovery klingt nach guten Tagen, nach alles super, nach „Ich hab’s geschafft!“.

Gerade hab – oder vielleicht hatte – ich einen Relapse – klingt erstmal scheiße. Ist es aber nicht immer. Relapse klingt nach miesen Tagen, nach alles wieder beim Alten, nach „Ich muss nochmal ganz von vorne anfangen“.

Dass ein richtiger Recovery-Relapse-Prozess aber weder das eine noch das andere in Reinform ist, das merke ich grad mal wieder. „Rückfall“ bedeutet nicht immer gleich „zurück zum Anfang“. Sondern diese Rückschritte und Ehrenrunden sind meistens viel kleiner. Manchmal dauern sie nur Momente. Manchmal Stunden. Manchmal Tage. Und manchmal eben Wochen.

Und dann kann es sich auch mal so anfühlen, als hätte man in drei Jahren noch überhaupt nichts erreicht. Als wäre die Lage genau so aussichtslos wie sie am tiefsten aller Tiefpunkte mal war. Dann kommt einem das Wort Recovery wie ein spöttischer Geselle vor, der eigentlich nur dazu da ist, einen auszulachen.

Zwischen den Wörtern

Manchmal bin ich eine Borderlinerin wie sie im Buche steht. Vollblut-Borderlinerin. Wutausbrüche, instabiles Selbstbild, Anspannung. Manchmal nur kurze Momente, manchmal für Stunden, manchmal einen ganzen Tag. Oder mehrere. Und manchmal bin ich Vollblut-Gesund. Achtsam. Yoga-Fan. Läuferin. Meditierende.

Manchmal bin ich nur eines dieser vielen Dinge. Manchmal alles. Mir fällt es oft selber schwer zu erkennen, in welcher Phase ich eigentlich gerade stecke. Wie soll das dann jemand Außenstehendes erkennen?

Bin ich noch krank? Oder schon gesund? Was trifft auf mich zu? Welches Wort passt? Wie will, kann und darf ich meinen Zustand gerade beschreiben? Manche werden vielleicht sagen „Ist doch egal, du bist halt wie es grad ist“. Ich nenne Dinge aber gerne beim Namen. Es hilft mir, zu sortieren. Mit mir zu arbeiten. Ich stehe nicht mehr vor der Borderline. Aber ich bin auch noch nicht drüber. Ich bin auf dem Weg.

Und für diesen Zustand finde ich in der deutschen Sprache einfach nicht das richtige Wort. Im englischen Recovery dagegen finde ich mich wieder. Das Wort beinhaltet alle störrischen deutschen Übersetzungen in einem – Erholung, Gesundung, Besserung, Rückgewinnung, Bergung. Für sich gesehen alles sehr nette Worte. Aber nicht genug um zu beschreiben, wie ich mich fühle. Ich mag an Recovery besonders den „Re“-Teil. Ich hole mir etwas zurück. Und gleichzeitig lege ich andere Dinge ab, decke zu – cover.

Und auch mit Relapse fühle ich mich deutlich wohler als mit dem deutschen Rückfall. Denn Rückfall wiederum ist ganz schön negativ besetzt. „Lap“ bedeutet Runde. Relapse bedeutet für mich, dass man noch eine Runde dreht. Sich nochmal aufmacht. Aber ich bleibe weiter auf dem Weg. Ich kehre nie ganz zum Ausgangspunkt zurück. Ich gehe nicht zurück zum Los. Sondern halte immer ein paar Felder Abstand zwischen mir und dem Vorher.

Hätte ich nicht auf die englische Sprache ausweichen können, hätte ich auf Deutsch wohl am ehesten so etwas gewählt: zwei Schritte vor, einer zurück. Einen Schritt vor, drei zurück. Vier Schritte vor, zwei zurück. Und immer fröhlich so weiter. Oder euch einfach das Bild hier gezeigt:

Recovery - Expectations and Reality | Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Recovery – Expectations and Reality | Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

Die ganze Recovery-Geschichte ist im Endeffekt also doch eine Linie, die irgendwie immer bergauf geht. Auch wenn man das nicht immer sehen mag. Manchmal muss man aber vielleicht genau die paar Schritte wieder zurück gehen, damit man erkennt, wie weit oben man eigentlich schon mal war. Und zu merken, dass man da wieder vorbei kommen kann. Vorbeikommen wird.

Krieg im Kopf

„Was genau macht es denn jetzt so schwer? Dir geht’s doch offensichtlich besser als früher? Und du bist gut drauf, warst gerade vier Monate in Asien – so schlimm kann das doch alles gar nicht sein?!“

Meine Antwort: Mit Borderline kämpfst du ständig gegen dich selbst. Egal ob du noch mitten in der Krankheit, vor der Diagnose oder auf Therapie-Kurs bist. Dein Kopf bleibt der selbe. Und feuert weiter. Greift dich an. Lässt dich zweifeln. Und je mehr du dich in Richtung Recovery bewegst, desto entscheidender scheinen die eigenen Gedanken dich manchmal sabotieren zu wollen.

It is exhausting to be fighting with myself; or, as sometimes happens, to feel like an observer of a fight between parts of myself. To be under attack and have to constantly try and defend, push back, stave off, but also rationalise, encourage, remember. To try to summon up words both to retaliate against the offensive and to build up and strengthen the defense. 

Life in a Bind

Das was es heute manchmal noch so viel anstrengender macht, ist das Bewusstsein über die Spannungen, Konflikte, Positionen, Kämpfe und Wirbel in mir drin. Früher waren sie da. Und ich musste wohl oder übel mitmachen. Durch alles, was ich in den letzten Jahren gelernt habe, ist mir vieles von dem, was in mir drin so vorgeht, sehr viel bewusster als früher.

Sometimes I feel as though I’ve exchanged the emotional exhaustion of the rollercoaster of intense and changeable feelings, for the mental exhaustion of being aware of the rollercoaster and trying to persuade myself not to get on it

Life in a Bind

Irgendwann hab ich mal zu irgendwem gesagt, dass eigentlich nicht die Tage, an den ich gegen mich selbst verliere – also mich in irgendeiner Art und Weise selbst schädige – als Niederlage sehe, sondern jeden Tag an dem ich nichts dergleichen tue, als Erfolg. Denn sich ergeben und die weiße Fahne der Niederlage zu hissen wäre ganz klar der einfachste Weg.

Am Ende des Tages sind alle Sachen, die mir nicht gut tun, nach wie vor am wirkungsvollsten. Ob das jetzt SVV oder Trinken oder Frieren oder Verkriechen oder Hunger ist. Und es braucht enorm viel Kraft, diesen Verführungen jeden Tag zu widerstehen. Sich nicht einfach zu ergeben und zu sagen „ihr habt gewonnen“.

Und manchmal bin ich einfach müde. Müde vom gegen mich selber kämpfen. Erschöpft vom Auf und Ab. Geschwächt vom Hin und Her. Dann geht für eine Weile einfach nichts mehr. Dann geht nur noch Loch. Ich krieche heute meistens nicht mehr ganz so tief ins Loch wie früher. Und bleibe da auch nicht mehr so lange. Aber die Löcher kommen noch.

Rückfall á la Borderline

Wie die Löcher aussehen? Was für mich ein Relapse ist? Ein Rückfall? Nun, erster Gedanke: zu viel trinken. Ja, kommt auch vor. Aber für mich sind Relapse noch viel mehr. Es sind Gedanken ans Ritzen. Und Tage, an denen mich die Depression so fest umklammert dass ich nicht mal mehr von der Couch aufstehe. Geschweige denn aufstehen möchte. Relapse sind Momente, Tagen und Phasen, in denen mich die Borderline mal wieder mit voller Wucht in ihre Achterbahn presst. Mit allem, was dazu gehört. Das sind die richtig fiesen Rückschläge.

Dann wackelt nicht nur meine Stimmung und Laune, sondern (so zum Beispiel in den letzten Wochen) leiden darunter mein Selbstbild, mein Selbstvertrauen, meine Zukunftspläne, meine Aussichten, meine Zuversicht. Ich stelle alles in Frage, alles. Und verliere jegliches Vertrauen in mich, in meinen Blog, in meine Mission, in meine Zukunft. Und wenn ich erstmal an diesem Punkt bin, dann kann ich sicher sein, dass die Depression bald vorbeischaut um es sich mit mir und der Borderline auf der Couch so richtig gemütlich zu machen.

Wenn ich dann auf dieser Couch, in diesem Loch sitze, kann ich mir absolut nicht mehr vorstellen, dass es jemals wieder anders werden wird. Oder dass es schon mal anders war. Dann verwandelt mein Kopf alle meine Fortschritte, Errungenschaften und Erfolge in Hirngespinste und Nichtigkeiten um. Und dann dauert es auch mal drei Wochen, bis ich euch einen neuen Artikel schicken kann. That’s Borderline-Life.

Routine bitte. Die Routine bitte!

Wie ich da wieder raus komme? Nun, die nette, positiven, bestärkenden Stimmen in meinem Kopf wohnen ja noch nicht lange dort, scheinen sich da aber ziemlich wohl zu fühlen und machen nicht gern lange Urlaub. Und selbst wenn sie nicht selber da sind, haben sie eine Art Urlaubsvertretung in Stellung, die mich dazu bringt, für mich zu sorgen. Nicht komplett nachzulassen. Weiter zu laufen. Weiter Yoga zu machen. Weiter genug zu schlafen. Weiter zu meditieren. Weiter gesund zu essen.

Ob es dann dem Duo aus Depression und Borderline irgendwann zu langweilig wird, weil ich mich nicht mehr zu so spaßigen Sachen wie Ritzen, Betrinken und Nächten vor dem Fernseher breitschlagen lasse, oder ob mein „guter Kopf“ einfach irgendwann seinen Urlaub beendet, sich in seinen Chefsessel schwingt und sagt „So, Kinder. Jetzt machen wir mal wieder Ordnung hier und klettern weiter Richtung Recovery“.

Was mir aus der Misere raus hilft ist also wieder einmal meine Ratio, die mich zwischen drin erkennen, aufsagen lässt und mir vor Augen führt, was sich alles in meinem Leben geändert hat. Was ich erreicht habe. Wie viel besser ich heute mit meiner Anspannung umgehe. Und wie viel souveräner mit den Borderline-Symptomen generell. (Beispiel: Alleine in ein Yoga-Studio gehen. Das ich nicht kenne? Wo mich keiner kennt? Früher wäre das ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Heute nicht nur auf Bali, sondern auch in München geschafft. Ein kleiner Schritt für „normale“ Menschen – ein SEHR großer Schritt für die kleine, unsichere, paranoide, selbstzweiflerische Dommi!)

Und die andere Sache, die mir hilft, aus der Misere raus (oder idealerweise gar nicht erst rein) zu kommen, ist Routine. Programm. Termine. Disziplin. Nennt es, wie ihr wollt. Zusammengefasst ein Rahmen, der dafür sorgt, dass ich in der Spur bleibe, an dem ich mich festhalten kann und der den Gedanken nicht zu viel Platz lässt, um frei herumzulaufen. Leerlauf heißt ganz oft Gedankenattacken.

I meet every attack with a riposte; every pessimistic comment with a different reading; every negative interpretation with a reminder of a past positive event or word; every urge to self-destruct with a suggestion for an alternative course of action. Every barb must be dealt with; every challenge, challenged-back – if not, the words settle in, start to sink below the surface, and start to infect other parts of me.

Life in a Bind

Und genau das ist dann der Anfang allen Übels. Der erste Abzweig Richtung Relapse. Das muss ich verhindern. „Immer wachsam!“ wie Mad-Eye Moody so schön sagt. Nicht nachlassen. Dran bleiben. Auch wenn’s anstrengend ist. Und viel Kraft kostet. Aber die Alternative lautet Loch – und dann kämpfe ich doch lieber.

Als ich einmal angefangen hatte, über all die Dinge die gerade so in meinem Kopf sind, zu schreiben, gab es gar kein Ende mehr. Und damit ich euch nicht mit einem langen Text erschlage habe ich diesen Post zweigeteilt. Dies hier ist der erste Teil, den zweiten Streich lest ihr hier: Recovery und Relapse – Part B.