Ja, es war schon auch ein bisschen cool – meine erste Konferenz, dann gleich in so einem schicken Hotel. Da musste ich mich mal ein bisschen freuen =)
Lesezeit: 9 minuten

MHE Konferenz Dublin

Meine erste Konferenz – zum Thema Mental HealthUnd dann gleich in Dublin. Hat sich gut angefühlt. Auch wenn dort nicht alles gut war. Warum ich den „Experten“ widerspreche – was mich frustriert, überrascht und gewundert hat – und warum ich noch härter arbeiten will und muss.


Nun war ich also auf meiner ersten Konferenz zum Thema psychische Gesundheit. Einer Einladung von Mental Health Europe (MHE) für ihr Capacity Building Event in Dublin folgend, die vor einigen Wochen in meinem elektronischen Posteingang gelandet ist.

Es war aber kein reines MHE-Event sondern fand in Kooperation mit Mental Health Ireland (MHI) statt, die ihren 50. Geburtstag gefeiert haben. Neben dem Jubiläum war Resilienz das große Thema der Konferenz. Also die psychische Widerstandsfähigkeit – was genau darunter zu verstehen ist, wie man sie stärken kann, und warum jeder Mensch ein bisschen (mehr) davon gebrauchen kann.

Und auch wenn die zweieinhalb Tage in Dublin kein reines Vergnügen waren muss ich euch sagen: es hat sich gut angefühlt. Es hat sich professionell angefühlt. Und genau davon brauche ich mehr. Von diesem Mental-Health-Profi-Gefühl. Was ich damit meine, darunter verstehe und warum das so ist werdet ihr hier lesen.

Vorher

Ich bin auf dem Weg nach Dublin. Zu meiner ersten, echten, offiziellen Mental Health Konferenz. Und ich bin so gespannt. Und ja, auch aufgeregt.

Als der Flieger gerade eben abgehoben hat, waren in meinem Kopf hundert Gedanken, die sich zu Knoten geformt, gegenseitig gejagt haben und auf- und abgesprungen sind; auf meinem Gesicht war ein breites Grinsen und in meinen Augen ein paar Freudentränen. Ja, ich fühle nun mal alles sehr intensiv. Auch wenn ich – mal wieder – gar nicht so genau weiß, was ich da gerade eigentlich so fühle.

Zur Aufregung gesellen sich Vorfreude, Angst, Unsicherheit, Neugier. Und Fragen. Viele Fragen

– Und die Antworten, die ich gefunden habe und die mich gefunden haben:

  • Wie wird die Stimmung sein? – gut, sachlich, familiär, etwas selbstbeweihräuchernd
  • Was für Menschen werde ich treffen? zu wenige in annähernd meiner Altersklasse
  • Wie viele Teilnehmer hat die Konferenz? ca. 200
  • Bin ich da überhaupt richtig? ja, schon
  • Wen werde ich kennenlernen? – Aurelija aus Litauen, Charlotte aus Belgien, Ophélie aus Frankreich, Romina aus Deutschland, Violetta aus Irland
  • Neben wem werde ich beim GalaDinner sitzen? (und hab ich die richtigen Klamotten dafür eingepackt?) – neben Aurelija, mein linker Platz war leer (und: Nein, definitiv nicht)
  • Gibt es eine schöne Laufstrecke für mich? Hätte es gegeben, direkt am Meer, aber mein Knie hat nicht mitgespielt
  • Hab ich genug Visitenkarten? – Mehr als genug
  • Ob da wohl noch andere Menschen aus Deutschland sein werden? Ja, eine: Romina aus der Pfalz
  • Kennen die sich alle schon von den letzten Konferenzen? Für den Großteil muss man das wohl mit „Ja“ beantworten

Jetzt sitze ich hier also im Flieger. Unter mir Wolken. Neben mir blauer Himmel. Und in mir wird es langsam etwas ruhiger – Achtsamkeit sei Dank.

Heute ist noch kein offizielles Programm, das geht erst morgen früh los. In Dublin gelandet heißt es erstmal zum Hotel fahren, abschmeißen und schnell wieder los. Ein bisschen was will ich ja schließlich von er Stadt sehen. Und mir bleibt nur der Sonntag dafür.

Erst wird also im wahrsten Sinne des Wortes eine sanfte Landung werden.

Nachher

Gleiches Spiel, nur umgekehrt. Gerade sitze ich im Flieger nach München. Das Meer und die Wolken unter mir. Der Himmel über mir. Und ein nicht endender Sonnenuntergang neben mir.

Es tobt nicht ganz so viel Euphorie und Glücksgewusel durch mich wie beim Hinflug. Dafür noch mehr Gedanken. Eindrücke, die verarbeitet werden wollen. Vorträge, die in die Regale meines Gehirns sortiert werden wollen. Meinungen, die geformt werden wollen. Zusammenhänge, die gefunden werden wollen.

Also schreibe ich.

Erstmal so allgemein: Ich bin super froh, dass ich zu dieser Konferenz geflogen bin. Ich werde keine pure Begeisterung auf euch loslassen – denn die wäre nicht angebracht. Dafür gab es dann doch zu viele Kritikpunkte meinerseits.

Aber ohne Frage war es toll, zu sehen, wie andere Menschen, andere Länder mit dem Thema „Mental Health“ umgehen (und ja, ich werde bei der englischen Bezeichnung bleiben, weil ich sie mag und passend finde).

Überblick

Von Dublin habe ich auf Grund der knappen Zeit und der eisigen Temperaturen leider nur einen kurzen Eindruck gewinnen können. Der war aber ganz erfreulich und neben der Kälte wird mir vor allem die irische Musik im Kopf bleiben, die an diesem frühen Sonntag Abend aus den zahlreichen Pubs entlang der schmalen, kopfsteingepflasterten Straßen ertönte.

Montag um 9:30 ging es nach einem ausgiebigen Frühstück und Abholung meiner Unterlagen endlich los.

Ab in „unseren“ Saal. Viele Stühle. Einige schon besetzt. Wo setzt man sich hin? Ich will ja üben, auf Leute zuzugehen. Also eine der wenigen Menschen ausgeguckt, die ungefähr meiner Altersklasse angehören und gefragt, ob das Plätzchen neben ihr noch frei sei. War es. Zum Glück.

Denn so habe ich Aurelija aus Litauen kennengelernt. Und ich muss sagen: sie hat für mich die gesamte Zeit meines Aufenthalts bereichert, die langweiligen Vorträge erträglicher gemacht, und die Pausen mit tollen Unterhaltungen gefüllt. An dieser Stelle wärmste und liebste Grüße und ein unglaublich großes Danke an Dich, Aurelija: Ačiū, brangusis Aurelija! Aš labai džiaugiuosi, radau jums šios konferencijos viduryje!

Die Vorträge

Was nach der Begrüßen folgte würde ich als zweitägiges Dauersitzen mit Dauerbeschallung bezeichnen. Manche Vorträge und Präsentationen waren kurzweilig, spannend und wirklich interessant. Andere dagegen langweilig, unspektakulär und zu Tagträumen und Gedankenexperimenten einladend. Aber ich denke, das ist wohl normal für Konferenzen.

Eine Sache, die ich schon erwähnt habe aber noch weiter ausführen muss: die Konferenz war quasi zwei Konferenzen in einer. Einerseits war es ein Capacity Building Event von Mental Health Europe. Aber zum anderen und zum eindeutig größeren Teil war es eine Feier/Konferenz anlässlich des 50. Geburtstages von Mental Health Ireland.

Diese Tatsache hat die ganze Konferenz gelenkt. Am Montag Vormittag fand das sogenannte Pre Conference Seminar statt und war von MHE organisiert. Und es war wirklich informativ und spannend. Besonders der Vortrag von Paul Kinderman, President der British Psychological Society. Nicht nur interessant, sondern auch sehr unterhaltsam.

Mit dem Lunchbreak und der gereichten Gemüsesuppe hat sich das dann aber leider geändert. Denn dann hat MHI übernommen. Und irgendwie ging es ab da nur noch bergab. Es folgten am Montag Nachmittag sieben und am Dienstag Vormittag noch einmal vier Talks unterschiedlicher Länge. Neben Professoren, Aktivisten und dem irischen Gesundheitsminister (der jünger ist als ich, by the way) standen diverse Doctors und Directors auf der Bühne. Und von denen hat mich – ich bin ehrlich – keiner auch nur annähernd packen können.

Es ging viel um Irland – klar, war ja auch deren Land und deren Geburtstag, quasi – und natürlich ist es interessant zu hören, wie andere Länder die Dinge anpacken und welche Wege sie gehen. Aber wenn es dann zu sehr ins Detail geht schaltet mein Gehirn eben leider ab.

Meine gesammelten Eindrücke

Soviel also nur kurz zu den Vorträgen. Darüber hinaus gab es aber noch ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind. Da meine gesammelten Eindrücke insgesamt ziemlich zahlreich und vielfältig sind geh ich da einfach nur mit Stichpunkten und kurze Erläuterungen drauf ein:

  • Wenig junge Menschen | Erschreckend wenig junge Menschen. Altersdurchschnitt: 60? Vielleicht 55. Von den ca. 200 Teilnehmern waren vielleicht 10 mein Alter +/- 5 Jahre. Das fand ich schon ein bisschen wenig.
  • Wenig Betroffene | (Im Englischen „service user“ oder nur „user“ genannt – finde ich ganz schlimm den Begriff). Ja, im Publikum saßen ein paar. Aber auf der Bühne standen hauptsächlich Professionelle, Psychologen, Professoren und so fort. Ich glaube, ich hatte mir das ganze etwas praktischer, interaktiver, „trialogischer“ vorgestellt. Alle Parteien treffen sich auf Augenhöhe und tauschen sich aus. Dem war aber leider nicht so.
  • Böse Diagnose | Was ist an dem Wort, dem Konstrukt „Diagnose“ so schlimm? Mehr als einmal wurde der Begriff und das Vergeben von Diagnosen geradezu verteufelt. Von wegen Schubladen und so. Ich habe das ganz anders erlebt. Für mich war es eine riesige Erleichterung, meine Diagnose(n) zu bekommen. Endlich hatte ich was, mit dem ich arbeiten konnte. Das Problem ist ja oft nicht die Diagnose, sondern der Umgang der Menschen damit.
  • Über statt mit | Auch mit so einigen anderen Meinungen auf der Bühne war ich nicht einverstanden. Das an sich ist ja noch kein Problem. Aber sobald es sich anfühlt, dass mehr über als mit den Betroffenen geredet wird (ein bisschen wie wenn man mit jemanden über eine dritte Person redet, die daneben steht und mit zuhört) dann läuft irgendwas verkehrt.
  • Peer-Arbeit | Also, (ehemalige) Betroffene weiterbilden und in die Versorgung anderer unterstützend miteinzubeziehen. Finde ich einen super Ansatz. Im Januar gehe ich zu einem Informationsabend für eine solche Ausbildung, die nächstes Jahr in München startet. Aber zurecht wurde kritisiert, dass diese „experienced user“ zwar bitte gerne helfen sollen, dafür aber selten angemessen entlohnt werden. Auf kritische Fragen aus dem Publikum kamen leider nur ausweichende Antworten. Mal schauen, wie das hier bei uns laufen wird.
  • Aus eins wird vier | so gut und unterhaltsam ich den Vortrag von Professor Kinderman fand, eine Sache fand ich bedenklich: es gibt ja diese Aussage, dass einer von vier (one in four) Menschen im Laufe seines Lebens von einer psychischen Krankheit betroffen sein wird. Laut Herrn Kinderman sollte diese Aussage geändert werden. Zu vier aus vier (four in four). Weil ja eigentlich praktisch niemand so komplett gesund im Kopf ist. Und die Frage, wie man sich seine Mental Health erhält ja auch für jeden „Normalo“ eine interessante und wichtige Sache ist. Ich sehe da aber die Gefahr, dass die Menschen, die mit wirklich ernsten psychischen Krankheiten kämpfen und zu tun haben im Zuge dieser neuen Devise untergehen und noch mehr stigmatisiert werden, ihr Leiden klein geredet wird.

Kritik aus meiner Sicht

Ein paar meiner „Kritikpunkte“ konnte ich zum Glück noch vor Ort mit Charlotte von MHE zur Sprache bringen. Und ich habe bei ihr offene Ohren eingerannt. Vor allem was die Alterstruktur der Veranstaltung angeht. Aus diesem Grund wollen sie nächstes Jahr eine Jugend Task Force ins Leben rufen. Da bin ich dabei. Mal schauen, wie lange ich bzw. sie mich noch zur Jugend zählen =)

Und auch beim Gesamtablauf konnte mich Charlotte ein wenig beruhigen als sie mir versicherte, die „reinen“ MHE Veranstaltungen seien eher anders konzipiert. Kleinere Gruppen, Workshops, praktischer – das hat mich wirklich erleichtert. Bin ich also doch richtig.

Und jetzt noch drei Punkte, die ich ansprechen bzw. loswerden muss, weil sie mich wirklich geärgert haben. Und auch jetzt noch ärgern, wenn ich darüber nachdenke:

  • stehen die da oben alle auf der Bühne und reden von Wellbeing und Community und dass man die Menschen aus den Institutionen rausholen, ein Miteinander schaffen soll – und dann schaffen sie es nicht, das Hotelpersonal beim Frühstück anständig zu behandeln. Unhöflich, respektlos, geringschätzig. Für mich fängt „Wellbeing“ aber hier an. Beim alltäglichen Miteinander und Zueinander.
  • beim „Gala Dinner“ waren nur Rotwein, Weißwein und Tafelwasser inklusive. Für alles andere musst bezahlt werden. Und das, nachdem immer wieder thematisiert wurde, was für eine ungesunde Beziehung die körperliche und geistige Gesundheit und der Alkohol haben. Fand ich dann doch ein wenig paradox.
  • ähnliches gilt beim Thema Physical Health: auf der Bühne betonen, wie wichtig diese für die Mental Health ist, dass man das den „usern“ doch endlich verständlich machen muss – dann aber selber bei einer Treppe schnaufen. Wenig glaubwürdig. Und mit körperlicher Fitness meine ich hier nicht, Marathon laufen zu müsse oder dünn und trainiert zu sein.

Aber diese Punkte fallen wahrscheinlich in die Kategorie „Das gilt ja nur für die Kranken“ – wir sind ja eh die besseren Menschen die unsere eigenen Ratschläge gar nicht befolgen müssen.

Ihr seht, diese Punkte regen mich immer noch auf.

Konferenz sei Dank

Ihr habt es inzwischen gemerkt – viele Eindrücke, viele Positionen, viele Meinungen, viele Beobachtungen. In gerade mal zwei Tagen. Seit meiner Rückkehr arbeitet es weiter in meinem Kopf. Wie denke ich eigentlich so über manchen Bereich? Was genau würde ich denn gerne mit meiner Arbeit erreichen?

Das finde ich gut, und das hat die Reise nach Dublin bei allen „Kritikpunkten“ auf jeden Fall gebracht.

Darüber hinaus habe ich aber während den Gesprächen und Vorträgen zum ersten Mal so wirklich realisiert, wie gut wir es eigentlich in Deutschland haben. Ja, auch hier bei uns gibt es noch das riesige Tabu um psychische Krankheiten. Es gibt Stigmatisierung, Ausgrenzung, Vorurteile. Lange Wartezeiten, zu wenige Therapeuten etc.

Aber die Versorgungslage ist im Vergleich zu manch anderem Land geradezu traumhaft. Und damit meine ich wohl vor allem, dass die Krankenkassen die Kosten für Behandlungen übernehmen. Was für ein Luxus. Und was für eine Rarität. Europa-, aber auch weltweit.

Natürlich läuft trotzdem nicht alles gut hier bei uns. Aber im Großen und Ganzen stehen wir verdammt gut da. Da kann Aurelija ein Lied drüber singen. Was sie so über die Lage in Litauen erzählt hat war stellenweise wirklich gruselig.

Und ich habe gemerkt, dass ich eigentlich kaum eine Ahnung habe, wie unser Land eigentlich so offiziell zum Thema Mental Health steht. Was sprechen eigentlich die Politiker, die Gesundheitsministerien und Pressemitteilungen so?

Genau das versuche ich gerade herauszufinden. Neben der Arbeit im Café, dem Fernstudium, der Selbstfürsorge, dem Schreiben, den Löchern und der Arbeit an meiner ersten Mental Health Präsentation surfe ich also durchs Internet und versuche, die Einstellung meines (Bundes)Landes zu greifen. Wie denkt Bayern über Psychos? Was hat die Politik für Ziele? Welche offiziellen Stellungnahmen gibt es?

Mehr Resilienz für mich

Die Arbeit, meine Ziele, meine Mission wird also nicht weniger oder kleiner.

Aber in gewisser Weise ist das ja sehr gut so. Denn in den vermehrten Löchern der letzten Wochen und Monate habe ich immer wieder gemerkt, dass eine der wenigen Sachen – neben Pizza und Cumberbatch – die immer gehen, die mir gut tun, bei denen ich aus meinem Loch rausschaue, auch das ist.

Aufklären, schreiben, was bewegen, was verändern – die Momente, in denen ich merke, dass ich Menschen erreiche, dass es was bringt, was ich mache, wo ich so viel Zeit rein stecke. Die sind gut. Das sind Momente, die meine Stimmung, meinen Tag retten können.

Helfen, verändern, schreiben, reden – wenn ich eines oder alles davon tue dann hat die dunkle Seite in mir schlechtere Chancen. Sie verschwindet nicht. Aber der Gedanke, das Leben von andern Menschen positiv verändern bzw. beeinflussen zu können ist einer der wenigen, die mich wirklich antreiben. Der die Kraft hat, mich aus einem Loch rauszuziehen. Und mich weitermachen zu lassen.

Und wie in Dublin betont wurde, ist das ein Baustein von Resilienz: das man etwas bewirken kann, an eine Sache glaubt, mit anderen zusammenarbeitet. So schöne Worte. Worte wie Sinnhaftigkeit, Selbstwirksamkeit.

Deswegen brauche ich davon mehr. Damit die Löcher weniger werden. Und ich nicht mehr so viel um mich selber, sondern für andere kämpfen kann.